Liebe Gemeinde,
biblische Geschichten sind einfach die besten. Sie haben es gerade wieder erlebt und gehört. Auf die Aufforderung Gottes, zum Pharao zu gehen und die Israeliten aus der Unterdrückung zu befreien, meint Mose: Wer bin ich eigentlich, dass ich sowas mache? Auf Gottes Versprechen, dass er ihn unterstützen werde, findet Mose ein neues Gegenargument: Schon die Israeliten werden ihn für verrückt halten. Was soll er ihnen denn sagen, wer ihm den Auftrag gegeben hat? Gott offenbart Mose seinen Namen: „Ich werde sein, der ich sein werde.“ Eine eindrucksvolle Beschreibung. Sie zeigt, dass Gott sich mit seinem Volk mitbewegt. Der, der helfen will – er ist nicht statisch, sondern mobil.
Und Gott weist vorab schon mal darauf hin, dass das für Mose kein Spaziergang werden wird und die Ägypter für ihren erwartbaren Widerstand mit allerlei Plagen rechnen müssen. Mose trifft halb der Schlag. Was soll das werden? Er wehrt ab. Gott scheint entnervt und zeigt eine Kostprobe seiner Möglichkeiten. Muss doch reichen, um Mose für die Aktion zu gewinnen! Falsch gedacht. Mose sagt nun auch noch, dass er sich mit dem Reden schwertut. Die letzte Ausrede, die ihm einfällt. Gott ärgert sich, aber richtig, und fragt Mose, wer eigentlich alles erschaffen hat und alles bewirken kann. Er, Gott, oder? Er kann also auch Mose zum Reden bringen.
Mose hat genug und meint nur noch: „Schick‘ doch, wen du willst. Mich nicht.“ Gott hat jetzt endgültig genug von diesem Mauern. Moses Bruder Aaron soll reden, und Mose muss ihm halt einflüstern, was. Die Brüder werden das gemeinsam doch wohl hinkriegen. Einfach großartig diese Erzählung - und so lebensnah! Gut - vermutlich hat niemand von uns bislang ein ganzes Volk befreit oder nur daran gedacht. Trotzdem – ich kenne die Struktur solcher Blockaden nur zu gut. Da traut einem jemand ganz viel zu - und man selbst macht komplett dicht. Mach doch, was du willst … Ein Abblocken folgt auf das nächste - und nichts geht vorwärts.
Was bringt einen dazu, solche Sätze zu sagen wie: Kann ich nicht. Können andere besser. Kenne ich mich null aus. Habe ich noch nie gemacht. Darf man nicht. Bringt sowieso nix. Macht alles nur noch schlimmer. Schadet mir bloß. Bin ich blöd, mir das auch noch anzutun? Die anderen sind es nicht wert. Gibt eh keinen Dank dafür. „Todesursachen“ hat der Dichter Erich Fried solche Blockaden genannt. Todesursachen, die auf den Gräbern aller guten Ideen und Vorhaben stehen - und irgendwann auf unseren eigenen, wenn wir wie Mose permanent mauern und darauf verzichten, die Spielräume unseres Lebens zu entdecken.
Bei mir ist es manchmal so, dass ich nicht mehr an eine schwierige Angelegenheit oder damit verbundene Menschen denken will. Ich kriege einen Balken im Magen und zwinge mich, anderes ins Visier zu nehmen. Ich verlege Papiere, verdränge Termine und schiebe Entscheidungen hinaus. Das alles ist nicht der Normalfall. Aber es kommt vor - und das ist eine wichtige Formulierung. Es kommt etwas zum Vorschein, was in solchen Situationen in einem passiert. Und das muss man anschauen. Spielraum entdecken, wozu die Fastenaktion der Evangelischen Kirche herzhaft ermuntert, das setzt voraus, dass man die Blockaden in sich selbst enttarnt. Nur Mut!
Was bremst mich aus? Mangelndes Selbstbewusstsein, die Angst zu versagen, die Sorge, nicht so toll zu sein, wie man meint, es sein zu müssen …. Ganz oft hat man uns solche Botschaften schon in der Kindheit in den Seelenrucksack gepackt. Mach‘ uns keine Schande, was sollen die Leute sagen, du musst Leistung bringen, wenn du etwas darstellen willst, sei ein braves Mädchen, ein tapferer Junge ... es gibt viele solcher Sätze, die einen begleiten. Manche hat man sich so eingeprägt, dass sie selbstverständlich erscheinen. Man lebt sie – wie in einer eingefahrenen Spur. Und kann sich gar nicht vorstellen, dass es auch anders gehen kann. Das macht Blockaden aus. Kein Spielraum.
Wenn man Scheitern und Versagen um jeden Preis vermeiden möchte, dann ist er hoch, der Preis. Man macht lieber nichts als etwas falsch. Aber so tut sich nichts. Es gibt keine Befreiung für das Volk und nicht für sich selbst. Gott könnte Mose sein lassen, ihn auswechseln durch einen mutigeren Player. Aber er will nicht. Dabei könnte es so viel mehr Spielraum rechts und links von eingefahrenen Spuren geben. Gott will Leben, Bewegung, Dynamik. Deswegen stellt er sich vor. Sein Name ist: „Ich werde sein, der ich sein werde.“ Es drängt Gott vorwärts, hin zu seinen Menschen. Mit ihnen, mit uns allen will er was losmachen, will keine Todesursachen, sondern Leben für und mit uns.
Deswegen lässt er schon bei Mose nicht locker. Das finde ich richtig, richtig schön. So verquer oder ängstlich ich mich anstelle, so panisch ich bin, so gerne ich umgehen möchte, dumm auszusehen - Gott liebt mich, er geht auf mich ein, stupst und schiebt mich an. Wer bin ich, dass ich so unangenehme, komplexe Aufgaben übernehme? Du bist ein wundervolles, mit vielen Gaben beschenktes Gotteskind, das er begleitet auf allen Wegen. Die werden mich alle für bekloppt halten! So what, na und? Du hast es doch sorgsam bedacht. Dann mach! Lass die Leute reden ... Gott ist bei dir.
Ich kann nicht so gut denken. Mir fällt das Reden schwer. Ich habe zwei linke Hände. Versuch es erstmal, bevor du dich selber runtermachst. Und wenn es nicht geht, dann hol dir Hilfe. Es gibt bestimmt Menschen, die nur darauf warten, dir zur Seite zu stehen. Mose kommt selbst gar nicht auf den Gedanken, sich an seinen wortgewandten Bruder Aaron zu wenden. Gott pflanzt ihm die Idee ein. Du musst nicht immer alles selber machen. Es ist schlau, andere mit einzubinden. Niemand von uns ist verpflichtet, den einsamen Wolf zu geben oder die Löwin, die auf der Jagd alleine die Wildnis durchstreift.
Wir sind Geschwister, Freunde, die einander beistehen können und das doch auch wollen. Spielraum für sich alleine zu haben ist ganz nett. Aber richtig toll ist es, wenn man miteinander nachdenkt, sich leidenschaftlich austauscht, sich auch mal etwas an den Kopf wirft, gemeinsam Hand anlegt - und so ganze Spielwiesen entdeckt. Daran kann einen auch ein blödes Virus nicht hindern. Sieben Wochen ohne Blockaden. Spielraum! Genau! Ich habe schon längst keine Lust mehr, mich selbst zu blockieren, indem ich bloß auf Defizite starre. Auf das, was alles nicht geht. Das bremst mich aus. Es hindert meine Lebensfreude.
Weg mit all dem gedanklichen, seelischen Mist, der mich zu einem Mose-Miesepeter macht. Hey! Wir sind am Leben! Es gibt Spielraum in rauen Mengen. Ich gehe mit einer Freundin spazieren, telefoniere stundenlang und schaue mir über Handy an, wie meine Lieben gerade aussehen. Bücher, Filme – ich entdecke ständig Neues. Und ich miste aus. Ich verschenke, was geht. Das schafft Raum in der Wohnung und gibt mir Luft und neuen Atem. Zum Beten für mich und andere … dafür, dass wir nicht erstarren in dieser Zeit, nicht ständig neue Blockaden errichten. Sondern vergnügt, erlöst, befreit mit Gott an unserer Seite immer wieder neu loslegen.
Geht was daneben, na und! Fehler machen, das gehört zu unseren Spielräumen dazu. Ich finde es nervig und dumm, wenn in dieser Pandemie die einen den anderen vorwerfen, nicht alles von Anfang an gewusst und richtig gemacht zu haben. Meckern tun vor allem die, die keine Verantwortung in Politik und Gesellschaft tragen müssen. Da mault es sich leicht. Mose musste irgendwann losgehen - und er ahnte, wusste, dass nicht alles glatt laufen würde. Aber er hat sich dann eben doch getraut - und trotz einiger Fehlschläge war das Volk am Ende wirklich frei und großer Sorgen ledig. Aufbruch in ein anderes Land, in ein neues Leben.
Alles war auf einmal wieder möglich. Wenn wir dahin kommen wollen, brauchen wir eine barmherzige Fehlerkultur, die es möglich macht, Spielräume zu nutzen - und sich dabei eben auch zu irren. Das ist nicht immer toll, aber es geht nicht anders. 7 Wochen ohne. Ich schaue mein Leben ohne Blockaden, ohne innere Vorsichtsmaßnahmen an. Was ist Kunst und schön? Was kann weg, weil es mich belastet, mich blockiert auf dem Weg zu dem Menschen, der ich vielleicht noch sein und werden könnte? Nein, ich muss kein Volk befreien oder die Welt retten. Es reicht, dass ich mit Gottes Hilfe so viel Blockaden wie möglich aus meinem Kopf und meiner Seele räume. Das langt. Um wieder Spielraum zu haben und vielleicht noch nicht selig, aber sehr zufrieden und dankbar zu sein. Amen.